Hätte man im vergangenen Jahrzehnt mit Kommunikationsmanagern über die Einrichtung eines Corporate Newsrooms gesprochen, sie hätten dies für ein Oxymoron, d.h. für einen Widerspruch in sich gehalten. Doch jetzt lassen sich die Unternehmen kaum noch zählen, die ihr Storytelling wie eine moderne Zeitung organisieren. Neben einer professionelleren Themenplanung und einer klaren Definition von thematischen Zuständigkeiten setzen die weitreichendsten Lösungen den Newsroom auch architektonisch um. In einem eigens dazu eingerichteten Redaktionsraum tüfteln und feilen die Redakteure dann an einer passgenauen Strategie, wie die eigene Markenwelt durch gut recherchierte, ansprechend aufbereitete und wiederverwertbare Beiträge in Formaten vom Zeitungsartikel bis hin zum Blogpost und Videos einem sorgsam ausgewählten Publikum präsentiert wird. Aus dem vermeintlichen Oxymoron ist eine Realität vorwärtsgewandter Marken-Profis geworden, die damit auf ein verändertes Medienumfeld reagieren. Selbst im B2B-Segment, das in der Ansprache der Kunden etwas konservativer ist, setzen laut dem Content Marketing Institute inzwischen 89 Prozent der Marketingabteilungen auf das Content-Marketing, das durch den Newsroom eine weitere Professionalisierung erfährt.
CORPORATE NEWSROOM – GEGEN DIE SILO-MENTALITÄT
Es geht um ein simples Prinzip: In einem Nachrichten-Universum, das nach seinem analogen, sprich gedruckten Zeitalter nun um ein riesiges digitales Orbit erweitert wird – und in dem die Zahl der Informationskanäle förmlich explodiert – wird es immer schwieriger, konsistent auf allen wichtigen Kanälen gleichzeitig zu kommunizieren. Die inhaltliche, formale, zeitliche und dramaturgische Integration der Kommunikation über alle Kanäle hinweg bedarf immer besserer Abstimmungsprozesse. Außerdem tritt eine wachsende Zahl von Marken mit ihrem Storytelling immer stärker in Konkurrenz zu herkömmlichen Medien und expandierenden sozialen Plattformen um die Aufmerksamkeit des Zielpublikums. Während jedoch die Zahl der verfügbaren medialen Formate und Darstellungsformen rasant wächst, herrscht in vielen Unternehmen traditionell eine Silo-Mentalität vor, die dieser neuen Wirklichkeit bei Weitem nicht gerecht wird: PR, Marketing, interne, externe und digitale Kommunikation sowie benachbarte Abteilungen arbeiten wie hinter unsichtbaren Mauern vor sich hin und produzieren jeweils ihren eigenen Content. Spannende, informative Geschichten und Synergien lassen sich so kaum erzielen.
Die Idee, die Auflösung der klassischen Ressortgrenzen im Journalismus auf die Unternehmenskommunikation zu übertragen, setzt an genau diesem Punkt an. Denn je größer das Unternehmen, desto höher ist nach aller Erfahrung auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Rohstoff für Geschichten, d.h. die verfügbaren Informationen wie z.B. Studien, Redemanuskripte, halbfertige Broschüren oder Umfragen, über das ganze Unternehmen verteilt brachliegen. Oder sie werden zumindest nicht effektiv genug umgesetzt. Kostspielige doppelte Recherchearbeiten fallen etwa an, weil die Kommunikationsabteilungen den Inhalt jeweils separat auf ihren eigenen Kanälen aufbereiten. Oft sind die Verantwortlichkeiten weder geklärt noch gebündelt, den einen federführenden Redakteur gibt es in der Regel nicht. Dabei wird das Storytelling für Marken immer wichtiger, wenn sie sich vom Wettbewerb in einem wogenden Nachrichten-Ozean differenzieren und die Kunden zielgerichtet ansprechen wollen. Das gilt erst recht für Branchen, in denen sich die Produkte in ihrem Preis-Leistungs-Verhältnis immer stärker angleichen. In solchen Fällen setzt vor allem die Kommunikation den entscheidenden Punkt gegen die Konkurrenz. Wer hier schläft, fällt im Wettbewerb zurück: Das Poynter Institute for Media Studies sieht die Marken-Redaktion als den „am schnellsten wachsenden Newsroom des 21. Jahrhunderts. Der Technologie-Dienstleister Cognizant spricht im Magazin „Perspectives“ sogar von einem „Content-Krieg.“
VOM THEMA HER DENKEN
In einem Corporate Newsroom lassen sich die bisher auf verschiedene Abteilungen verteilten kommunikativen Kompetenzen, Ideen und Umsetzungsmöglichkeiten sachgerecht bündeln. Der Fokus liegt auf schlanken Prozessen. Es sollen Synergieeffekte erzielt werden. Mit einem pragmatischen Newsroom-Konzept lässt sich erfolgreich die Silo-Mentalität eindämmen und damit die firmeninterne Kooperation und Transparenz deutlich verbessern. Die Themenfindung wird einfacher, die Entscheidungen werden effizienter gefällt, doppelte Recherchen vermieden. Dank gebündelter personeller und medialer Kapazitäten können überdies Themenexperten aufgebaut und die Posts, Videos, Tweets und markenbezogenen Magazinreportagen über die analogen und digitalen Kanäle hinweg wirkungsvoller verteilt und näher an der gewünschten Zielgruppe platziert werden.
In diesem kommunikativen und kooperationsbetonten Umfeld fällt es leichter, den Themen Vorrang vor den Distributionskanälen zu geben. Zuerst kommt die Idee zur Story, dann die Recherche, und erst dann wird überlegt, auf welchen Kanälen die Geschichte publiziert werden kann. Das Resultat ist ein von der Marke her gedachtes, relevanteres, agileres und viel genauer zugeschnittenes Storytelling. Der Einsatz von digitalen Tools, wie z.B. Content-Management-Plattformen, hilft zwar dabei, die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen besser zu koordinieren und den Content effizienter zu managen.
Nur: Eine Software allein bricht noch keine Silos auf und wird im ungünstigsten Fall von den Mitarbeitern nicht genutzt. Die Einführung solcher Softwarelösungen muss in der Regel von einem professionell aufgesetzten Kulturwandel und Change-Prozess begleitet werden, der die Mitarbeiter zur Annahme dieser Lösung bewegt.
CORPORATE NEWSROOM UNTERNEHMENSWEITE SIGNALWIRKUNG
Das Newsroom-Konzept (Corporate Newsroom) wirkt mit seiner Verzahnung auch positiv in das Unternehmen hinein. Idealerweise wird die Nutzung interaktiver, digitaler Kommunikationskanäle in das Kommunikationskonzept des gesamten Unternehmens eingebunden. Und die Redaktion wird als ein inspirierendes Kreativ-Labor im Dienst der Marke erlebt, das den Mehrwert erfolgreicher Unternehmenskommunikation im wahrsten Sinne des Wortes unmittelbar sichtbar macht. Durch die Bündelung der thematischen und medialen Kompetenzen kann die in einem Newsroom organisierte Kommunikation zudem besser ihre beraterischen Kompetenzen im Unternehmen und hier insbesondere beim Vorstand zur Geltung bringen. Themen- und Kanalexperten tragen so zur gezielten Positionierung von Entscheidungsträgern wie auch der gesamten Organisation bei. Gerade in einer Zeit, die durch einen immensen Vertrauensverlust gegenüber den Medien und dem harten Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Zielgruppen geprägt ist, sind Kommunikatoren zunehmend in der Rolle als strategische Berater gefordert. Dabei gilt: Die analoge, herkömmliche Kommunikation bleibt wichtig, doch digital ist der neue Nachrichtenstandard. Erfolgreiche digitale Marken schaffen es, die Kunden davon zu überzeugen, dass sie überall präsent sind. Das können am selben Tag eine Feature-Story in einem gedruckten Magazin, ein Video auf YouTube, Bilder auf Instagram, ein Newsletter an die Kunden sowie ein Interview-Auftritt des CEOs im Fernsehen sein. Grenzen setzt hier fast nur die Kreativität.
Um mit der Digitalisierung Schritt halten zu können, müssen die Mitarbeiter im Newsroom allerdings mit den entsprechenden digitalen Fähigkeiten geschult oder qualifiziertes Personal eingestellt werden. Das multimediale Umfeld setzt Fähigkeiten voraus, die deutlich über das hinausgehen, was im herkömmlichen Journalismus gefordert ist. Visuell ansprechende Aufbereitungen zum Beispiel sind längst kein Selbstzweck mehr, sondern sie müssen das Kernanliegen ebenso gut kommunizieren wie der Text selbst. Im Zeitalter der Informationsverdichtung sind Bilder und Videos zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Inhalts geworden. Beiträge in den sozialen Medien wiederum bedürfen nicht nur einer passenden Visualisierung, sondern sie sind in der Regel auch deutlich weniger formell und dafür interaktiver gestaltet. Videos und Live-Inhalte, die beim Publikum hervorragend ankommen, müssen darüber hinaus in das Kommunikationskonzept integriert werden, um auf allen Kanälen möglichst gleichzeitig präsent zu sein. Und vor allem im B2C-Segment geht der Trend bereits dahin, die Zielgruppen auch über eigene digitale Kanäle, wie z.B. Apps, gezielt anzusprechen. Es liegt auf der Hand, dass diese neuen Herausforderungen an die Unternehmenskommunikation bei der Einrichtung eines Newsrooms berücksichtigt werden müssen.
KLARE ROLLENVERTEILUNG IM CONTENT HUB NACH THEMEN UND KANÄLEN
Die Rollen und Verantwortlichkeiten sind im Newsroom-Gefüge klar verteilt. Eine strikte Themenorientierung, schlanke Prozesse, Transparenz und Teamgeist sind ausschlaggebend für den Erfolg. Um den kreativen Prozess schlank zu halten, entscheiden Themenmanager auf der Themenseite und Kanalmanager auf der Kanalseite. Im Zentrum steht der Chefredakteur oder Chef vom Dienst, der die Zusammenarbeit zwischen den Themen- und den Kanalmanagern, die sich in der Regel aus den entsprechenden Kommunikationsabteilungen zusammensetzen, in regelmäßig stattfindenden Redaktionskonferenzen organisiert. Im Grunde funktioniert diese redaktionelle Abstimmung wie eine Drehscheibe zwischen den einzelnen Themen und Kanälen. Der Chefredakteur, der sich wahlweise auch aus einem Team zusammensetzen kann, hat dabei das letzte Wort. Er erteilt die Freigabe zur Publikation und entscheidet im Zweifel darüber, welches Thema vorrangig wie und auf welchem Kanal zu publizieren ist.
Während auf der Themenseite wichtige Trendthemen identifiziert und die Geschichten entwickelt werden, fällt auf der Kanalseite die Entscheidung darüber, wie die Geschichten am effektivsten konfektioniert und eingesetzt werden. Die Themenmanager sammeln im Unternehmen aktiv Informationen, Zitate, Daten, Reden und Bilder und treten als Botschafter für ihr jeweiliges Thema auf. Sie definieren die Perspektive der Geschichte und kompilieren das illustrative Begleitmaterial. Die Redaktions-Mitglieder auf der Kanalseite adaptieren die Beiträge der Themenmanager dann an die Anforderungen ihres jeweiligen Kanals. Sie beobachten die Wirkung des Storytellings und agieren dabei wie Anwälte der jeweiligen Zielgruppe, um Feedback zurück in die Redaktion zu geben und die Fokussierung sowie den Zuschnitt der Beiträge zu optimieren. Handwerklich wichtig ist hier unter anderem, die Berichte, Reportagen, Videos, Posts etc. für die sozialen Medien angemessen zu kürzen und visuell durch den stärkeren Einsatz von Bildern aufzubereiten.
Um einen regelmäßigen redaktionellen Austausch – zum Beispiel in Redaktionskonferenzen – führt kein Weg herum, denn viele Ideen werden erst im persönlichen Gespräch geboren. Je journalistischer die Arbeit im Corporate Newsroom – wie auch immer er aussieht – geprägt ist, desto häufiger und genauer werden die Abstimmungen, inklusive zwischenzeitlichem Feedback, das der Erfolgskontrolle hilft. In kleineren Unternehmen, wo sich die Teammitglieder bei Fehlen eines architektonisch eingerichteten Newsrooms auch ohne Redaktionskonferenz ständig sehen, reicht oftmals eine informellere redaktionelle Abstimmung in größeren zeitlichen Abständen aus. Die Verbindung zur strategischen Ebene ist jedoch immer wichtig, weil die Umsetzung und Ziele des Storytellings durch die übergeordnete Unternehmensstrategie informiert sein müssen. Ein Redaktionskalender und vordefinierte Templates zur Dokumentation und zum Briefing der Geschichten und Beiträge helfen dabei, wichtige Deadlines zu berücksichtigen, das Rad stets weiter zu drehen und alle Teammitglieder auf demselben Stand zu halten.
SCHLANKE KOMMUNIKATIONSPROZESSE FÜR EIN AGILES UNTERNEHMEN
Es muss aber nicht immer der ganz große Wurf sein, der die Unternehmenskommunikation bis hin zur architektonischen Umsetzung des Newsrooms regelrecht umkrempelt. Gerade in kleineren Unternehmen genügt es oftmals schon, den Fokus auf die Prozesse und die Kooperation zwischen den einzelnen Kommunikationsdisziplinen zu richten. Das Ziel ist es, die Wertschöpfungskette einer spannenden Geschichte über die eigene Marke – das kann am Ende auch eine simple Pressemitteilung sein – möglichst optimal zu steuern. Prioritäten und Themenverantwortlichkeiten klar zu definieren sowie einen regelmäßigen Austausch zwischen den Mitarbeitern zu organisieren, ist der erste und wichtigste Schritt.
Gleichzeitig müssen die Mitarbeiter rechtzeitig in die Konzeptentwicklung involviert werden, um sie zur Annahme dieser organisatorischen Weiterentwicklung zu motivieren.
Angesichts des rasanten Umbruchs durch die Digitalisierung sind schlanke Prozesse sind eine notwendige Voraussetzung, um Reibungsverluste und Ineffizienzen zu vermeiden. Eine schlanke Unternehmenskommunikation, die gute Geschichten befördert, ist am Ende also kein Selbstzweck, sondern Teil einer übergeordneten Anforderung an Unternehmen. Nur indem Unternehmen agiler werden, wahren sie ihre Chance, diese Beschleunigung in einen Wettbewerbsvorteil zu verwerten. Agile Unternehmen sind flexibler, sie können schneller auf neue Entscheidungslagen reagieren und sie verlieren dabei vor allem nicht die konsequente Ausrichtung auf die jeweiligen Anspruchsgruppen aus dem Auge. Die Fähigkeit, ebenso spannende wie informative Geschichten wertstiftend zu erzählen, wird einer Organisation allerdings nicht in die Wiege gelegt. Es ist aber auch nichts, was eine Organisation nicht lernen könnte. Nur müssen für ein begeisterndes Storytelling in erster Instanz die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden. Und genau das leisten Corporate Newsrooms.