Brauchen Unternehmen einen Purpose, um sich von der Konkurrenz abzuheben? Und wie gelingt es ihnen, diesen vom eigenen Markenursprung her zu entwickeln, richtig zu verankern und zu leben? Was zeichnet Purpose-Glaubwürdigkeit aus? Im Interview mit dem Marketing-Fachmagazin W&V erläutert Carina Hauswald die typischen Stolperfallen auf dem Weg zum gesellschaftsrelevanten Unternehmenszweck.
Mit der ersten Purpose-Studie habe Globeone herausgefunden, dass sich Unternehmen weltweit – aber auch die große Mehrheit der deutschen Unternehmen – bei der Markenkommunikation „immer noch viel zu sehr um sich selbst drehen“, so Carina Hauswald. „Lediglich 18 Prozent der deutschen Unternehmen positionieren sich bereits über einen Purpose, der die Produkte für eine größere, gesellschaftsrelevante Gruppe in einen sinnstiftenden Kontext stellt.“ Es bestehe daher großer Nachholbedarf – aber ein Vorgehen auf dem Weg zu einem Purpose lasse sich nicht ohne Einschränkung verallgemeinern.
Purpose Glaubwürdigkeit Hängt Von Branche Und Geschäftsmodell Ab
„Grundsätzlich gilt, dass Unternehmen, die sich einen Purpose zulegen, den Menschen samt seiner Umwelt ins Zentrum ihrer Positionierung rücken“, so Hauswald. „Dieser Anspruch muss so konkret wie möglich gemacht werden und er muss zur Branche passen.“ Branchen mit einem besonders schmutzigen Image, wie etwa die Erdölindustrie, würden mit diesem Ansatz naturgemäß größere Schwierigkeiten mit der Purpose-Glaubwürdigkeit haben. „Oder nehmen Sie die Rüstungsindustrie: Hier wäre es blanker Hohn zu sagen, dass sie den Menschen ins Zentrum ihrer Positionierung rückt.“
Das Image der Branche, in der ein Unternehmen operiert, sei daher ein erster wichtiger und erfolgskritischer Faktor. Darüber hinaus müsse natürlich auch das Geschäftsmodell kompatibel mit der Botschaft sein. Unternehmen, die sich im Luxussegment positionieren, könnten zum Beispiel nicht ohne Weiteres einen gesellschaftsrelevanten Purpose entwickeln, weil deren Geschäftsmodell auf Exklusivität beruhe. „Teure Uhren, schnelle Autos – das wird für einen kleinen Zirkel hergestellt und nicht, um die Gesellschaft einen Schritt voranzubringen“, erklärt Hauswald.
Image Des Weltverbesserers: Bestimmt Von Trends Und Moden?
Natürlich sei eine Positionierung auch immer von jeweils aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen getrieben. „Jedes Jahrzehnt bringt seine eigenen Positionierungskonzepte hervor, die den Early Movers unter den Unternehmen ausreichend viel Differenzierungspotenzial versprechen“, antwortet Hauswald. „In den 2000er Jahren war das etwa das Thema Nachhaltigkeit, das sich inzwischen zu einem absolut unverzichtbaren Bestandteil jeder Positionierung entwickelt hat.“ Jetzt sei das Purpose-Thema aktuell, weil es den Markenverantwortlichen noch viele weiße Flecken auf der Positionierungskarte aufzeige – wer hier also zuerst handle, habe naturgemäß mehr Optionen zur Auswahl.
„Andererseits: Je mehr Marken auf diesen Zug aufspringen, desto wichtiger ist es natürlich, hier nicht zu unkonkret zu bleiben“, meint Hauswald. „Wenn jedes Unternehmen in einer Branche am Ende – salopp gesagt – einfach nur die Welt besser machen möchte, dann verliert dieses Konzept schnell sein Differenzierungspotenzial. Aber man kann auch einen Purpose entwickeln, der durchaus etwas konkreter ist und die einzigartige eigene Unternehmenshistorie gut mitreflektiert.“ Am Ende liege die Stärke eines derartigen Positionierungskonzepts darin, dass es mit der Erklärung des „warum mache ich das?“ vom eigenen Markenursprung ausgehend gedacht werde und zugleich aber auch den Blick in die Zukunft werfe: „Was möchte ich mit meinem Produkt erreichen?“
Purpose Glaubwürdigkeit: Die Rolle Von Management Und Mitarbeitern
Es gelte nicht nur, den höheren Markenzweck gegenüber den Beschäftigten zu kommunizieren, sondern Unternehmen sollten diesen idealerweise auch zusammen mit den Mitarbeitern entwickeln. Der Input aus der Belegschaft sei sehr wichtig. „Ob Markenverantwortliche wollen oder nicht: In der heutigen Zeit sind die Mitarbeiter die ersten und ständigen Markenbotschafter, sie verkörpern im Idealfall den Markenzweck. Man muss sie für ihre Mission ausbilden und immer wieder motivieren“, meint Hauswald. Für die Purpose-Glaubwürdigkeit sei eine Diskrepanz zur Kultur einer Organisation ein absoluter Worst Case.
Das Management spiele eine ganz entscheidende Rolle. „Am Ende steht und fällt der Purpose damit, ob er vom Management richtig vorgelebt wird. Führung durch Vorbild ist hier ein wichtiges Stichwort. Es ist also nicht damit getan, einfach einen Purpose aufzuschreiben, sondern er muss in der Organisation richtig verankert und zum Leben erweckt werden“, so Hauswald. Diese organisatorische Komponente sei nicht zu vernachlässigen, weil es sich hierbei um einen transformativen Prozess handle, der Geduld und Überzeugungsarbeit erfordere.
„Purpose Ist Natürlich Kein Allheilmittel“
Wer hoch aufsteige, könne bekanntlich auch tief fallen: Ob daraus nicht ein Fallstrick werden könne, wenn man den Purpose allzu hoch aufhänge, lautet eine weitere Frage an Carina Hauswald in dem W&V-Interview. „Ja, die Gefahr besteht durchaus. Und manche Industrien stehen bekanntlich unter strenger Beobachtung, nicht nur durch Regulierungsbehörden, sondern auch durch NGOs, denken Sie an die chemische Industrie“, so Hauswald. Man habe es als Unternehmen oft nicht in der Hand, ob und wann das Brennglas der Öffentlichkeit sich auf eine Marke richte. Auch hier sei entscheidend, glaubwürdig und ehrlich zu sein und das zu tun, was man predige. Dann sei man weniger angreifbar, wenn mal ein Fehler passiere. „Und eines ist klar: Der Purpose ist natürlich kein Allheilmittel. Die Performance muss im Gesamtzusammenhang des Unternehmens stimmen, und da spielen viele Faktoren mit rein.“